Montag, 9. Februar 2009

Die “richtige“ Standortanalyse

als Erfolgsfaktor in der Expansionsstrategie von Betreibern stationärer Altenpflege von Dr. Lutz H. Michel MRICS und Dr. Heike Piasecki

Die aktuelle Marktentwicklung im Bereich der stationären Altenpflegeeinrichtungen ist gekennzeichnet durch drei maßgebliche Trends:

Erstens limitiert der Grundsatz “ambulant vor stationär“ insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten gesetzgeberischen Entwicklungen die strategische Ausweitung stationärer Altenhilfe, auch wenn die demographische Entwicklung andere Signale zu senden scheint.

Zweitens zwingt die Finanznot der öffentlichen Kassen und auch das verstärkte Kostenbewusstsein der Kunden, der pflegebedürftigen Senioren und ihrer Angehörigen, bei der Entwicklung und Umsetzung von Expansionsstrategien zielgruppenspezifischen Angeboten größeres Augenmerk zu widmen.

Drittens schaffen die „brummenden“ vorstationären Wohnformen, seien es Betreutes Wohnen oder Wohngruppenkonzepte und ähnliche Angebote, eine Angebotsvielfalt, die mit undifferenzierten Produktangeboten im Bereich der stationären Pflege nicht mehr zu begegnen ist. Dies alles spielt sich ab in einem Marktumfeld, in dem weniger Wartelisten als Belegungsdefizite den Takt für Expansion angeben. Dies zwingt die Betreiber, im Rahmen ihrer Expansionsstrategie der Standortentscheidung noch größeres Augenmerk als in der Vergangenheit zu schenken. Aus dem Blickwinkel der operations-bezogenen strategischen Beratung von Betreibern einerseits und der bankinduzierten Beurteilung von Pflegeheimbetrieben andererseits ergeben sich folgende Überlegungen zu den relevanten Elementen der Standortanalyse und –beurteilung, die sich auch in der in der Arbeit der Verfasser bewährten Vorgehensweise bei der Vorbereitung von Standortentscheidungen niederschlagen.

1. Mikro- und Makrostandort

Die “klassischen“ Betrachtungsebenen für die Standortanalyse sind die Betrachtung des Mikro- und des Makrostandortes. Mikrostandort meint damit die unmittelbare Umgebung eines Projektstandortes (nahes Umfeld, Stadtteil, Entwicklungsgebiet, Teilraum mit ähnlichen Merkmalen). Makrostandort meint dabei das großräumliches Verflechtungsgebiet, in dem sich ein Projektstandort befindet (Stadt, Gemeinde, Region). Relevant für die Beurteilung sind insofern generalisierend gesprochen die Infrastruktur- und Demographie- sowie Marktrelevanzkriterien, die gegeben sein müssen, um ein Pflegeheim erfolgreich positionieren zu können. Im Bereich des Mikrostandortes sind dies die urbane Situation, die Nachbarschaft, die Verkehrsanbindung, Für den Makrostandort sind relevante Kriterien wie demographische Situation, die Alterungsprognosen, die Bevölkerungsstruktur, die Einkommenskennziffern des Gebietes, das als „Einzugsbereich“ zu qualifizieren ist. Quasi „querschnittsbezogen“ sind dabei die Mentalitäten und Verhaltensweisen und -muster der Kundenzielgruppen einzubeziehen. Hier trennt sich im Übrigen häufig die Spreu vom Weizen: die unzutreffende Definition des Einzugsbereichs ist der Todesstoß einer jeden Betrachtung und makrostandortbezogenen Kriterien.

2. Standort und Markt

Jede Standortanalyse ist untrennbar zu verbinden mit der Analyse des Markt-, also des vorhandenen und zukünftig zu erwartenden Angebots- und Nachfrageumfelds. Der beste Mikrostandort nutzt nichts, wenn die Marktsituation die Standortqualitäten in dem Sinne überlagert, dass ein potentielles Angebot nicht auf einen aufnahmefähigen Markt trifft. Standortanalyse in diesem Sinne wird daher zunehmend zur Marktanalyse, die durch Kriterien wie Betriebskonzept, Kundenzielgruppe, Kundenmentalitäten, Angebotspositionierung, Konkurrenzsituation und die vorhandenen USP’s des „Produkts“, auf das sich die Standortanalyse bezieht, bestimmt wird. Nur auf den ersten Blick sprengen diese Betrachtungskriterien die traditionelle Methodik der klassischen Standortanalyse. Diese war dadurch geprägt, dass überwiegend quantitative Elemente als entscheidungserheblich angesehen wurden. Qualitative Merkmale kamen hinzu, ergänzten diese partiell. Heute, in enger werdenden Märkten, geprägt durch regionale Überversorgung, Verdrängungswettbewerb der Anbieter und Wettbewerbsverzerrungen durch die staatliche Preislenkung durch die Sozialkassen, werden qualitative Elemente zum ausschlaggebenden Faktor bei der Analyse und Beurteilung nachhaltig erfolgversprechender Standorte im Rahmen von Expansionsentscheidungen.

3. Operations-bezogene Standortanalyse

Ausgangspunkt einer jeden Standortbeurteilung muss daher die Definition des „Produkts“, also des Betriebes, der realisiert werden soll, sein. Die Produktkonfiguration gibt letztlich die Kriterien für die Beurteilung des Standorts vor, weil nur sie einerseits den relevanten Markt und andererseits den relevanten Wettbewerb zu beurteilen ermöglicht. Der relevante Markt ist nicht mehr so sehr der imaginäre Markt der „stationären Altenhilfe“, sprich undifferenziert: der Altenpflegeheime. Vielmehr ist zunehmend entscheidend das differenzierte Leistungsangebot, zugeschnitten auf spezifische Krankheits- bzw. Pflegebilder. Der relevante Markt wird daher „enger“. Dies gilt sowohl für die Produktseite, wie aber auch für die Beurteilung der Angebotsseite, nämlich der bereits im relevanten Markt vorgefundenen Angebote an stationärer Altenhilfe. Insofern gilt nicht der Leitsatz „Marktanalyse qua Standortanalyse“, sondern „Standortanalyse qua Marktanalyse“. Hier geht es dann primär um die Beurteilung von Betriebskonzepten und die Suche nach dem für den vorgefundenen Standort adäquaten Betriebskonzept. Damit geht es insoweit nicht mehr nur um die Beurteilung eines status quo, sondern auch um einen Prozeß der Optimierung von Konzepten, also der Anpassung von Konzepten an Standortqualitäten.

4. „Nachhaltigkeits - Prüfung“ - Evaluierung zukünftiger produktrelevanter Entwicklungen

Die Betrachtung des Standorts unter der „Betriebs - Brille“ muß angesichts der zu erwartenden Entwicklungen im Markt der Altenpflege auch zunehmend „dynamisiert“ werden. Der heutige status quo ist von Bedeutung, jedoch ist angesichts der langen Zeithorizonte für die Lebensdauer und Rentabilität der Immobilie mindestens genauso wichtig die Zukunft. Insofern ist eine expansionsorientierte Standortanalyse auch geprägt von Gesichtspunkten wie z.B. der Beurteilung schon bekannter Vorhaben, kurz: zu prognostizierende Entwicklungen bzgl. der vorzufindenden und etwaiger zukünftig relevant werdenden Standortfaktoren. Es handelt sich - verallgemeinernd formuliert - um die Evaluierung zukünftiger produktrelevanter standortbezogener Entwicklungen.

5. Leitlinien für die “richtige“ Standortanalyse – Vorgehensmodell des DIS Institut

Aus diesen „theoretischen“ Prämissen ergibt sich die operative Vorgehensweise, die die Verfasser aus ihrer Erfahrung präferieren: Das 5 - Stufen - Modell sieht dabei wie folgt aus:

Stufe 1: Analyse und Beurteilung des Expansionsziels
Stufe 2: Analyse, Einordnung und Bewertung des Betriebskonzepts
Stufe 3: „Klassische Standortanalyse“
Stufe 4: Feinjustierung des Konzepts auf die gegebene Standort- und Marktqualität
Stufe 5: „Nachhaltigkeits - Prüfung“:

Abgleich der Ergebnisse der Stufen 1 - 4 mit den zukünftig zu erwartenden Standortqualitäten Materiell sind in diese 5 Schritte die Erfassung, Analyse und Bewertung der oben dargestellten Beurteilungskriterien eingebettet.

Es handelt sich um eine wertende Betrachtung mit hoher qualitativer Ausprägung, für die quantitative Analysen lediglich bedeutende Basisinformationen darstellen. Diese Vorgehensweise vermeidet, daß Standortentscheidungen im Rahmen von Expansionsprojekten im wahrsten Sinn des Wortes „betriebsblind“ getroffen werde. Sie ermöglicht durch die Einbeziehung von Konzept und Nachhaltigkeitskriterien eine höhere Zukunftssicherheit der zu treffenden Projektentscheidungen und damit mehr Sicherheit für die nachhaltige Wirtschaftlichkeit des Expansionsvorhabens sowohl für den Betreiber wie auch - last not least - den Immobilieninvestor.