Mittwoch, 19. September 2007

Betreutes Wohnen mit DIN-Zertifikat – als bundesweit erste Genossenschaft hat sich die Ostland Wohnungsgenossenschaft der Prüfung gestellt

Zukunftschancen nutzen: Das praktiziert die Ostland Wohnungsgenossenschaft seit mehr als fünfzig Jahren. Jüngstes Beispiel ist die Bebauung der innerstädtischen Brache „Gilde Carré“ in Hannover. Hier, auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei, hat die Genossenschaft eine Gartenstadt errichtet und die 67 Stadthäuser in kürzester Zeit verkauft.

Doch das Unternehmen investiert nicht nur auf dem Gebiet der urbanen Nachverdichtung. Es ist auch auf dem anderen großen Wachstumsmarkt aktiv – in unmittelbarer Nachbarschaft des Carrés will es noch einmal 67 Wohneinheiten unter dem Label „Betreutes Wohnen“ vermieten. Und dass es sich dabei nicht nur um ein „Label“ handelt, hat sich die Genossenschaft als Erste in Niedersachsen schwarz auf weiß geben lassen: Noch vor Bauabschluss wurden die Wohnanlage nach der neuen bundeseinheitlichen Norm für „Betreutes Wohnen“ DIN 77800 präzertifiziert. Kaum ein Jahr alt, hat die DIN-Norm 77800 als Richtschnur für Qualität bereits auf Vermarktungsplattformen wie Immoscout24 Eingang gefunden.

Als erstes bundeseinheitliches Gütesiegel für „Qualitätsanforderungen an Anbieter der Wohnform Betreutes Wohnen für ältere Menschen“ soll sie dem Wildwuchs der frühen Jahre ein Ende bereiten. Buchautorin Renate Narten, die für den Verband vdw Niedersachsen Bremen einen Überblick über gängige Angebote im Seniorenwohnmarkt verfasst hat, begrüßt die Norm. „Bei der Ausgestaltung der Verträge gibt es noch immer viele Unklarheiten“, sagt die Architektursoziologin, „eine Zertifizierung macht es für Verbraucher und Anbieter einfacher.“ Carsten Ens, Leiter Öffentlichkeitsarbeit des vdw, stößt ins selbe Horn. Auch den gestiegenen Ansprüchen der Mieter und nicht zuletzt der aktuellen Rechtsprechung sei es zu verdanken, dass sich der „silberne Seniorenwohnmarkt“ inzwischen in geordneten Bahnen bewege. Ens lobt ausdrücklich die finanzielle Förderung, die Niedersachsen für eine breite Versorgung der Bevölkerung mit altengerechtem Wohnraum aufgelegt hat.

Ältere Menschen sind für Vermieter eine hochattraktive Zielgruppe, aber es fehlen häufig die Mittel für eine bauliche Nachrüstung der Bestände; ganz zu schweigen von dem Know-How, das sich viele Vermieter auf dem durchaus komplexen Dienstleistungsmarkt noch erarbeiten müssen. Genau diese Lücke hilft die Zertifizierung nach DIN 77800 zu schließen. Für ein positives Testat werden die folgenden Fragen recherchiert und müssen zur Zufriedenheit der Gutachter erfüllt sein: Informationsgestaltung: Schriftliche und mündliche Informationen an den KundenDienstleistungsangebot:

Was wird in welchem Umfang zu welcher Zeit angeboten?Wohngestaltung und Wohnumfeld: Lage, Barrierefreiheit der Anlage und Zimmer, GemeinschaftseinrichtungenVertragsgestaltung: Wie sind Verträge gestaltet? Qualitätssichernde Maßnahmen: Bewohnerbefragung, Überprüfung des Beschwerdemanagementsystems*

Entwickelt wurde die Norm von einer Reihe unterschiedlicher Akteure, von Vertretern der großen Wohlfahrtsverbände bis zu den Abgesandten der Immobilienwirtschaft, namentlich des BFW. Federführend war das DIN Deutsches Institut für Normung. Über eine Tochter, die Zertifizierungsgesellschaft DIN CERTCO, welche zugleich eine Tochter der TÜV Rheinland Gruppe ist, wird das Gütesiegel nach DIN 77800 vergeben. Seit Verabschiedung der Norm im Herbst 2006 haben sich bundesweit neun Anbieter zertifizieren lassen, weitere befinden sich im Prüfungsprozess. Das Zertifikat wird für sechs Jahre vergeben. Mit einem sogenannten Vorort-Audit wird alle zwei Jahre überprüft, ob die einmal zertifizierte Leistung noch gewährleistet ist.

Dieter Musielak ist froh, sich der mehrstufigen Begutachtung unterzogen zu haben. Seine Begründung: „Wir bieten selbstbestimmtes Seniorenwohnen gehobenen Standards. Bei einem Quadratmeterpreis von 10 Euro nettokalt sind die Kosten der Zertifizierung mehr als gerechtfertigt. Denn dadurch konnten wir sämtliche Verwaltungsvorgänge noch einmal neu aufarbeiten und haben einiges an Know-How gewonnen.“ Zu den Grundleistungen, die die „Residenz Nedderntor“ ihren Bewohnern bietet, zählen regelmäßige Präsenz- und Sprechzeiten. Überdies gibt es einen Hausnotruf und individuelle Beratungs-, Betreuungs- und Vermittlungsleistungen. Die Residenz arbeitet eng mit der Sozialstation Gehrden, den Johannitern und dem Not-Funkdienst Niedersachsen zusammen. Zu den Grundleistungen zählen außerdem etliche Freizeit-, Interessen- und Geselligkeitsangebote – zuletzt gab es die Gemäldeausstellung einer aus der Region stammenden Künstlerin zu bewundern. Auch ein Hausmeisterdienst ist Teil der Grundleistungen. Die Wahlleistungen hingegen umfassen ein breites Spektrum an zusätzlichen Services, die in erster Linie der Aufrechterhaltung der eigenen Haushaltsführung dienen. Dazu zählen unter anderem Hilfen zur Wohnungsreinigung und Glasreinigung, ein Wäscheservice oder der mobile Mahlzeitenservice. Wer will, kann sein Mittagsmahl in der Gemeinschaft einnehmen und nach Wunsch eine Einkaufshilfe beauftragen. Überdies besteht die Möglichkeit, sich private Feiern organisieren, sich begleiten oder in Abwesenheit einen Wohnungshüterdienst kommen zu lassen. Und selbstverständlich wird, wenn es hart auf hart kommt, auch eine häusliche Pflege angeboten – eine Wahlleistung, die durch die regelmäßigen Beratungen, welche mit der Grundleistung einhergehen, eng verzahnt ist. Genossenschaftsvorstand Musielak hat die exzellente Lage, die das Städtchen Gehrden für die Wohnbedürfnisse älterer Menschen bietet, geistesgegenwärtig erkannt. Klug war es auch, die Leiterin des Sozialamtes zu einem frühen Zeitpunkt in die Bauplanung mit einzubinden. So kommt es, dass die Steckdosen in den Wohnungen höher über dem Boden angebracht sind, die Lichtschalter dagegen niedriger hängen, damit beide auch vom Rollator aus einfach zu erreichen sind: Auf die kleinen baulichen Details kommt es beim „Betreuten Wohnen“ an. Nach einem Rundgang durch die Residenz zeigte sich die Amtsleiterin, zugleich Senioren- und Behindertenbeauftragte der Stadt, sehr zufrieden. Barbara Zunker: „Die Umsetzung entspricht zu 100 Prozent dem, was wir besprochen haben."

Ostland-Vorstand Musielak plant, künftig auch alle weiteren Senioren-Wohnangebote der Genossenschaft durch DIN CERTCO prüfen zu lassen. Dass es sich um einen Wachstumsmarkt handelt, steht außer Frage. Auch wenn am Ende nicht immer das TÜV-Siegel stehen mag, allein durch das Hinzuziehen der externen Gutachter erhält der Wohnungswirt, seit rund fünfzig Jahren für die Genossenschaft mit einem heutigen Bestand von 2.000 Wohneinheiten tätig, wertvolle Anregungen. Musielak: „Durch die fachliche Kommunikation mit den Prüfern müssen wir uns laufend selbst hinterfragen. Durch das Feedback können wir unsere Produkte noch enger an den Bedürfnissen unserer Mitglieder ausrichten.“ Auch moderne Management-Tools wie Beschwerdemanagement, Mieterbefragung oder Qualitätssicherung lassen sich leichter mit als ohne Zertifizierungsprozess implementieren. Je mehr sich das bundesweit einheitliche Gütesiegel etabliert, desto eher kann Planungssicherheit für Verbraucher und Vermieter auf dem „silbernen Seniorenmarkt“ einziehen.

Und trotzdem: Er bleibt für Überraschungen gut. DIN CERTCO-Mitarbeiter Hinrich Lampe, einer, der mit dem Markt sehr gut vertraut ist, war bei einem Besuch der „Residenz Nedderntor“ erstaunt, wie fit die angetroffen Senioren waren. Vor allem ihr Durchschnittsalter verblüffte: 79 Jahre.

*In Kurzform siehe Beuth-Pocket, Titel: „Betreutes Wohnen für ältere Menschen Dienstleistungsanforderungen nach DIN 77800“ Autor: H. Mühlbauer, Herausgeber: DIN, Link: http://www.beuth.de/langanzeige/Betreutes+Wohnen/93826739.html

Weiterführende Literatur: „Wohnen im Alter - Bausteine für die Wohnungswirtschaft“, Renate Narten, Hannover, 2004 Bezug siehe unter: www.vdw-online.de
Quelle: vdw Magazin